Mein Name ist Robert Nörr. Ich bin Förster der Bayerischen Forstverwaltung in den Gebieten Wolfratshausen, Egling und Icking. Ich bin vor v.a. für die Beratung der Waldbesitzer, Öffentlichkeitsarbeit und auch Führungen durch den Wald zuständig. Für mich ist der Wald eine Herzensangelegenheit. Dabei geht es mir darum, Schützen und Nutzen unter einen Hut zu bekommen.
Robert Nörr, Förster in Wolfratshausen, Icking und Egling
Um den vielfältigen Lebensraum für verschiedenste Tiere und Pflanzen, den Wald als Erholungsort für uns Alle, um frische Luft und sauberes Trinkwasser, wie auch um den tollen Rohstoff Holz. Es gibt ganz viele Dinge, die der Wald für uns bereithält und dementsprechend auch viele verschiedene Interessen an diesem Wald.
Dabei ist es meine Aufgabe als Förster dafür zu sorgen, dass nicht einzelne Interessen maximiert, sondern die gesamte Vielfalt an Interessen durch unseren Wald befriedigt werden kann. Das ist gar nicht leicht, denn es gibt immer mehr Nutzergruppen, die ihre Interessen - sagen wir mal: immer intensiver versuchen durchzusetzen. Gleichzeitig stellen sich immer mehr Herausforderungen durch Klimawandel, Witterungsextreme und ähnliche Faktoren, sodass Wahrheiten, die vor 20-30 Jahren gegolten haben heute nicht mehr gelten.
Interessant, man hört ja oft, dass der Klimawandel in unseren Breitengraden eher später ankommt als anderswo. Man kann aber heute schon Entwicklungen feststellen, die durchaus auf den Klimawandel zurückzuführen sind?
Der Klimawandel ist bei uns im Oberland voll angekommen. Wir haben bereits jetzt Temperaturerhöhungen von 1,2 bis 1,6 °C im Vergleich zu 1950 und die Prognosen sind ganz klar: Die Temperaturerhöhung wird im Voralpenland viel stärker ausfallen als im weltweiten Durchschnitt. Wir merken heute bereits massive Auswirkungen des Klimawandels. Es kommt zu immer mehr Extremereignissen wie Stürmen, Trockenzeiten oder immer stärkerer Befall durch Borkenkäfer. Darunter leidet besonders die Fichte, aber auch andere Baumarten sind massiv betroffen. Selbst die Buche, die eigentlich von Natur aus die vorherrschende Baumart wäre, hat in den Trockensommern 2015-2018 massiv gelitten. Hier sterben viele Exemplare, die 100- 150 Jahre munter gewachsen sind einfach ab.
Also keine allzu schönen Aussichten?
Aktuell nicht, aber wir können natürlich sehr viel tun, damit das nicht so bleibt.
Wald ist vom Klimawandel betroffen, aber auch Teil der Lösung!
Wir Förster aber auch Waldbesitzer bemühen uns, die Wälder zu stabilisieren. Das klingt jetzt vielleicht etwas paradox. Aber damit Wälder ihre vielfältigen Leistungen für uns erfüllen können, müssen Bäume gefällt werden. Wenn ein Wald zu dicht aufwächst und die Konkurrenz zwischen den Bäumen zu groß ist, versuchen sie möglichst schnell in die Höhe zu wachsen und können dabei keine Energie in ein robustes Wurzelwerk investieren. Solche Bäume werden instabil und haben daher eine geringere Lebenserwartung.
Deswegen wird der Wald regelmäßig ausgelichtet, was mich zu einer ganz großen Bitte bringt: Wenn wir Bäume fällen, wird die Gefahrenzone sehr deutlich abgesperrt und wir bitten ganz dringend darum, dass diese Sperrungen auch beachtet werden. In diesen Situationen besteht akute Lebensgefahr, die bei Missachtung bereits zu schlimmen Unfällen geführt hat.
Also Vorsicht beim Waldspaziergang! Wenn man etwas von einer Baumfällung im Wald mitbekommt, muss man sich also nicht zwangsläufig Sorgen darum machen, dass unser Wald zerstört wird?
Nein, gezielte Baumfällungen sind sehr wichtig für den Wald. Neben Stabilität fördern Sie auch die Vielfalt des Waldes. Wenn in einem großen Fichtenwald einzelne Ahorn, Tannen oder Kirschen wachsen, wird gezielt diesen Bäumen geholfen, indem man ein, zwei oder drei Fichten nebendran abschneidet. Dabei fördern wir nicht nur die Vielfalt der Baumarten selbst, sondern auch die der Insekten, Schnecken, Pilze oder andere Bodenlebewesen, die auf diese Bäume angewiesen sind.
Ein ebenfalls wichtiger Grund für die Fällung von Bäumen ist, einen gesunden Wald-Nachwuchs zu garantieren. In dichten, dunklen Wäldern tun sich kleine Bäumchen schwer. Für sie braucht es Licht, in dem ich ältere, größere Bäume entnehme. Und ein besonders wichtiger Partner für den Nachwuchs im Wald sind die Jäger! Die Zahl der Rehe muss in einer Höhe reguliert werden, in dem der Wald in seiner ganzen Bandbreite an Baumarten aufwachsen kann und nicht nur mit einer Baumart, wie die für Verbiss unempfindlichen Fichte. Von der Buche über den Ahorn, die Tanne, die Kirsche hin zur Eiche: wir brauchen diese Baumarten für einen vielfältigen Wald der Zukunft, der auch gegenüber dem Klimawandel stabil ist.
Nicht zu vernachlässigen ist auch das Holz, das bei ihrer Arbeit entsteht.
Richtig, beim Waldmanagement geht es natürlich auch um diese wichtige natürliche Ressource.
Jeder weiß, Öl und Gas sind endlich und ausschließlich CO2-Produzenten. Ganz anders als der nachwachsende Rohstoff Holz, der CO2 neutral ist.
Indem wir das Holz vor unserer Haustür nutzen, können wir einen ganz wesentlichen Beitrag für den Umwelt- und Klimaschutz leisten. Der Baum nimmt CO2 aus der Luft auf und setzt es im Holz fest. In einem Haus verbaut, wird es gespeichert und der Atmosphäre entzogen. Wenn man statt einem sehr energieintensiv produzierten Aluminiumfester ein Holzfenster verbaut, kann man auch noch die CO2-Emissionen der Aluminiumherstellung einsparen. Allgemein sind Holzhäuser durch viele neue Techniken eine langlebige Alternative mit sehr guter Energiebilanz geworden. Spätestens wenn man den gesamten ökologischen Fußabdruck für Bau, Unterhalt und auch den Rückbau betrachtet, ist der Holzbau in der CO2-Bilanz absolut ungeschlagen. Und entgegen aller Befürchtungen nutzen wir noch nicht einmal ganz das Holz, das in jeder Sekunde „vor unserer Haustüre“ nachwächst.
Auch wieder sehr unerwartet. Eigentlich hört man nur von Übernutzung, Waldsterben etc. und Sie sagen jetzt wir müssen den Wald noch mehr nutzen?
Da muss man sehr genau hinsehen und unterscheiden: Es gibt weltweit dramatische Übernutzung beispielsweise in vielen Regenwäldern am Äquator oder in nordischen Nadelwäldern Russlands und stellenweise Kanadas. Gerade aus diesen Regionen stammt aber ein nicht unerheblicher Anteil an Holz, das wir hier nutzen.
Im Gegensatz dazu gibt es in dem Bereich für den ich zuständig bin sogar noch viele Flächen, in denen es aus den zuvor genannten Gründen notwendig wäre, mehr Bäume zu fällen und guten Gewissens Holz zu produzieren und möglichst regional zu verwenden.
Die größten Holzvorräte in Europa hat nicht Finnland, Schweden oder Norwegen, sondern Deutschland. Und das Oberland liegt hier ganz vorne. Wir sind klimatisch noch vergleichsweise verwöhnt und können noch mit unseren heimischen Baumarten wirtschaften – tun es aber, wie gesagt, teilweise noch zu wenig. Ein genereller Grund zur Sorge vor Übernutzung besteht bei uns keineswegs.
Aber auch in Bayern haben wir in einzelnen Bereichen, wie der Münchner Schotterebene oder insbesondere in Franken mit gewaltigen Problemen zu kämpfen. Dort fällt beispielsweise auf riesiger Fläche die Fichte aus. Hier sind die Förster inzwischen gefordert, noch mehr mit Baumarten den Wald zu erhalten, die mit der Trockenheit besser zurechtkommen.
Also auch wieder Folgen des Klimawandels. Da wird einem klar, wie komplex und empfindlich das Ökosystem Wald ist. Was würden Sie nun Menschen sagen, die das Ökosystem Wald betreten?
Kernbegriff ist Rücksicht. Prinzipiell ist der Wald nach der bayerischen Verfassung für alle frei zugänglich und das ist auch gut so. Damit kann sich jeder dort erholen und den Wald genießen. Dieses große Privileg hat man nicht überall und es geht einher mit einer gewissen Verpflichtung zum schonenden Umgang. Dazu muss man wissen, dass über 90% der Waldflächen bei uns privaten Waldbesitzern gehören. D.h. wenn man sich im Wald aufhält, befindet man sich auf fremdem Eigentum. Entsprechend respektvoll sollte man sich auch verhalten.
Es geht damit los, dass man nicht einfach Dinge wegschmeißt. Ein Zigarettenstummel verunreinigt beispielsweise 40 Liter Trinkwasser und was Plastikmüll in Wäldern an Qualen für Tiere verursachen kann, ist unglaublich.
Ein weiteres großes Thema sind die Lagerfeuer. So ein Wald ist unglaublich schnell zu Asche gemacht. Ein Funken reicht oft und wer schon mal einen Waldbrand erlebt hat, der weiß, das ist etwas Furchtbares und kann ganz schnell völlig außer Kontrolle geraten. Mit katastrophalen Folgen für Tiere, Pflanzen, den Wald als Ganzes aber auch für den Verursacher. Bei größeren Waldbränden sind wir da ganz schnell bei Millionenbeträgen, bei fahrlässigem Feuermachen hilft oft auch keine Versicherung.
Also hat man durchaus auch ein privates Interesse, das zu vermeiden. Sie meinen, dass Waldbrände auch hier immer mehr zum Thema werden. Können wir uns also darauf einstellen, dass uns Szenarien, wie in Australien auch hier bevorstehen?
Nein, das nicht. Diese riesigen Flächen sind bei uns nicht so bedroht, aus verschiedenen Gründen. Beispielsweise haben wir mehr Niederschläge und nicht so lange Dürrezeiten, weniger heiße Winde und auch andere Baumarten in unseren Wäldern. Laubbäume brennen wesentlich schwerer als Nadelbäume, was mit ein Grund für unser Bemühung ist, Mischwälder zu schaffen und zu erhalten. Ansonsten bemühen wir uns, in besonders brandgefährdeten Bereichen nicht zu viel totes Holz auf dem Waldboden zu hinterlassen. Was wiederum ein Interessenkonflikt ist, denn auf der anderen Seite brauchen Insekten, Pilze oder Schnecken das Totholz.
Außerdem sorgen wir durch das Auflichten für genug Nachwuchs und dieser brennt ebenfalls nicht so leicht wie Gras oder Totholz.
Das bedeutet, dass durch ihre Arbeit und menschliches Zutun schlimmer Brände verhindert werden. Kann man sagen, dass die Waldbrände in Australien unter anderem so verheerend sind, weil es sich dabei um komplett wilden Wald handelt?
Robert Nörr: Also prinzipiell sind das erstmal klimatisch komplett andere Bedingungen. Es ist auch tatsächlich so, sowohl in Australien als auch in Teilen von Amerika gehört der Waldbrand zur natürlichen Erneuerung des Waldes mit dazu. Es gibt einzelne Baumarten die erst kommen, wenn alles abgebrannt ist. Dann erst habe sie die Chance sich zu entwickeln. Jede Baumart ha ja ihre eigene Strategie, wie sie über Jahrmillionen überleben konnte. Eben diese Baumarten gibt es bei uns nicht, weil der Waldbrand auch nicht zum natürlichen Prozess gehört. Er kann vorkommen ist aber kein normaler Bestandteil der Waldverjüngung.
Sie sind jetzt 16 Jahre in Wolfratshausen und Umgebung tätig. Haben Sie in dieser Zeit etwas erlebt, was sie besonders schockiert hat? Gerade in Hinblick darauf, wie andere Menschen mit der Natur umgehen.
Ja, da fallen mir zwei sehr extreme Dinge ein. Zum einen, wenn jemand einen Wald kahlschlägt, wo das nicht hätte sein müssen. Es gibt mit Ausnahme der Borkenkäferbekämpfung und der Bewältigung anderer Schadereignisse kaum Situationen, in denen das wirklich nötig gewesen wäre. Wenn ich das sehe, schockiert es mich. Zum Glück sind Kahlschläge aber die absolute Ausnahme.
Außerdem ist es die immer wieder anzutreffende Rücksichtslosigkeit von Leuten, die einfach meinen, ihnen gehört der Wald und sie müssen auf niemanden Rücksicht nehmen. Das hat meiner Meinung nach zugenommen.
Es gibt also doch noch genug Leute, die sich aufführen, wie die Axt im Walde?
Ja, leider schon. Teilweise kann ich es sogar im Ansatz verstehen. Gerade Leute, die in einem sehr naturfremden Umfeld leben und permanent durch Lärm, Abgase und Enge gestresst werden, suchen häufig den Wald als Kontrastprogramm und Inbegriff von Natur, Wildnis und Ruhe auf. Wenn dann aber jemand zum Beispiel seinen Wald bewirtschaftet und eine Säge läuft oder ein Weg gesperrt ist, dann reagieren manche von diesen Besuchern aggressiv, weil das mit ihrer Vorstellung nicht übereinstimmt. Hier muss noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden. Wir als Förster müssen uns die Zeit nehmen und den Leuten zuhören. Aber das ist für uns – auf 20.000 Einwohner kommt gerade mal ein Förster der Forstverwaltung -, für die Förster der Bayerischen Staatsforsten und für die Waldbesitzer eine unglaublich fordernde Aufgabe.
Da wird einem klar, wie groß die Entfremdung von der Natur teilweise ist. Vielleicht ist auch deswegen der Drang so groß sich abseits von den Wegen querfeldein ein in den Wald zu bewegen und die Natur wirklich hautnah zu erleben. Ist es ein Problem, wenn sich Erholungssuchende von den Wegen entfernen?
Wenn man die Wege verlässt, ist es vor allem für das Wild und viele Tierarten ein Problem und weniger für den Wald selbst.
Zum einen natürlich, wenn Menschenmassen unterwegs sind. Aber auch für einzelne Personen ist es grundsätzlich besser, auf den Wegen zu bleiben. Vor allem während sensibler Zeiten oder an sensiblen Orten. Beispielsweise während der Dämmerung, wenn Rehe sehr empfindlich sind oder während Nistzeiten und im Bereich der Gelege von Vögeln. Genauso auch im ausgehenden Winter, wenn die Tiere bereits großen Hunger und Nahrungsstress haben. Dann verbrauchen die Tiere bei ihrer Flucht vor dem Menschen sehr viel Energie. Während diesen Zeiten sollte man es tunlichst vermeiden, querfeldein zu gehen. Andererseits ist dieses unmittelbare Naturerlebnis wertvoll und wichtig. Umso wichtiger ist es, dass wir den Menschen das Gespür für das richtige Verhalten vermitteln. Ich mache deswegen sehr viele Führungen mit Kindern und gehe an unkritischen Stellen manchmal bewusst querfeldein. Es viele Kinder gibt, die das noch nie gemacht haben. Das Erleben, im Wald zu stehen und ohne Handy nicht mehr herauszufinden, ist für viele eine heilsame Erfahrung (lacht). Das Gefühl, dass Natur nicht immer nur romantisch und schön ist, muss man schon mal erleben. Denn auch das schafft wieder Respekt vor der Natur.
Wenn Sie auf die letzten Jahre, in denen Sie als Förster tätig waren zurückblicken, welche positiven Dinge fallen Ihnen da ein?
Da fallen mir einige Dinge ein! Beispielsweise, wenn Kinder den Wald entdecken und sich für ihn begeistern.
Wenn man ihnen Raum lässt und sie plötzlich selbst merken, wie spannend der Wald ist, geht mir wirklich das Herz auf. Das passiert auch gelegentlich mit Erwachsenen, die plötzlich eine Faszination für den Wald entwickeln.
Am Wald kann man unglaublich viele Zusammenhänge aufzeigen, die die Leute häufig überraschen. Insgesamt gibt es mir ein sehr gutes Gefühl, wenn ich bei Führungen die Neugier und Faszination für den Wald in anderen wecken kann.
Außerdem begeistert mich an der Arbeit im Wald, dass ich mit meinen Maßnahmen so viele positive Auswirkungen erzielen kann: Für den Natur- und Artenschutz, aber auch für den Umweltschutz durch das Produzieren des wertvollsten und natürlichsten Rohstoffs, dem Holz. Mit anderen Worten, wir können durch unsere Arbeit im Wald viele Probleme lösen oder mildern. Bei weitem nicht, alle, aber viele! Es begeistert mich einfach, wenn ich heute einen Wald pflege und einzelne Bäume entnehme und ich dann nach einiger Zeit wieder auf die Fläche komme und sehe, wie der Wald sich entwickelt hat. Wie er stabiler und vielfältiger geworden ist und wie bereits wieder die gleiche Menge an Holz auf der Fläche steht! Gleichzeitig konnte mit dem geernteten Holz mindestens ein Holzhaus gebaut werden. Das ist doch die perfekte Nachhaltigkeit!
Der Begriff der „Nachhaltigkeit“ kommt ja aus der Forstwirtschaft und war vor 300 Jahren der revolutionäre Ansatz „Nutze nicht mehr als das, was nachwächst“.
Inzwischen ist der Begriff aber viel umfassender: „Bewirtschafte den Wald so, dass alle Ansprüche in Zukunft mindestens genauso befriedigt werden können, wie heute“. Das ist natürlich sehr komplex, weil wir sehr viele Ansprüche haben. Aber ich sage: wir bekommen das hin!